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Stellungnahme: Sechste Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung

SoVD-Stellungnahme zur Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales: Sechste Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung

Die sogenannte Versorgungsmedizin-Verordnung enthält die Grundsätze für die versorgungsmedizinische Begutachtung im Schwerbehindertenrecht und im Sozialen Entschädigungsrecht. Sie ist maßgeblich, wenn die Feststellung einer Behinderung beantragt wird. Die hier festgelegten Vorgaben sind für die feststellende Behörde und die versorgungsmedizinisch tätigen Gutachter*innen verbindlich. Sie stellen sicher, dass Begutachtungen und Feststellungen nach einem bundesweit einheitlichen Maßstab durchgeführt werden. 

Die versorgungsmedizinischen Grundsätze müssen fortlaufend weiterentwickelt und an den Stand der medizinischen Wissenschaft und Medizintechnik sowie an sich ändernde umweltbezogene Teilhabebedingungen und die behindertenpolitische Entwicklung angepasst werden. 

In dem hier vorliegenden Entwurf werden lediglich die Vorbemerkungen und die Nummern 1-3 der allgemeinen Grundsätze – der Teil A der Verordnung – an die Maßstäbe der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) angepasst. Die Notwendigkeit der Weiterentwicklung dieser Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) ergibt sich daraus, dass diese Fassung aus 2008 herrührt, also vor der Ratifizierung der UN-BRK durch die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2009. Mit diesem Entwurf werden Anpassungen im Sinne der UN-BRK, eines ICF-basierten Behinderungsbegriffs, vorgenommen. Darüber hinaus erfolgte nach 2008 die Einführung des neuen Entschädigungsrechts (SGB XIV), welches weitere Anpassungen erforderlich macht.

Nr. 1 des Teiles A beschreibt die Regelungen zur Bemessung des Grades der Behinderung (GdB) bzw. des Grades der Schädigungsfolgen (GdS). Nr. 2 enthält Regelungen zur sog. Heilungsbewährung nach Krebserkrankungen, Nr. 3 beschreibt Grundsätze zur Bildung eines GdB bei Vorliegen mehrerer Gesundheitsstörungen.

Das für diese ÄndV zuständige BMAS wird bei diesen stetig vorzunehmenden Änderungen von einem Beirat beraten. Dieser „Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizinische Begutachtung“ hat sich 2023 neu ausgerichtet und konstituiert. Ihm gehören jeweils sieben vom Deutschen Behindertenrat, den Ländern und vom BMAS benannte Mitglieder an. 

2 Bewertung des Entwurfs

Im Großen und Ganzen begrüßt der SoVD die hier vorgenommenen Änderungen im vorliegenden Entwurf. Im Folgenden wird auf einige Aspekte eingegangen.

Vorbemerkung Teil A: Anpassung an die UN-BRK

Die in diesem Entwurf vorgenommenen Änderungen in den Vorbemerkungen der VersMedV tragen der Tatsache Rechnung, dass sich der Behinderungsbegriff über die Jahre verändert hat und vor allem durch die Ratifizierung der UN-BRK ein anderes Verständnis von Behinderung besteht. Danach entsteht eine Behinderung aus der Wechselwirkung von langfristigen körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnes­beeinträchtigungen mit unterschiedlichen Barrieren. Dadurch können Menschen an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft gehindert werden (so in Artikel 1 Satz 2 der UN-BRK). Dieses Verständnis von Behinderung, welches die Teilhabebeeinträchtigung berücksichtigt, soll Maßstab bei der Bemessung eines Grades der Behinderung (GdB), bzw. Grades der Schädigung (GdS) sein. 

SoVD-Bewertung: Die in dieser ÄndV vorgenommenen Änderungen werden vom SoVD begrüßt. Sie entsprechen einem zeitgemäßen Verständnis von Behinderung im Sinne der UN-BRK.

Die hier vorgenommene Anwendung des sog. biopsychosozialen Modells, wonach biologische, psychologische und soziale Einflussfaktoren bei der Bewertung von Behinderung bzw. des Grades der Schädigung berücksichtigt werden sollen, stößt allerdings auch an ihre Grenzen. Dies dergestalt, dass bei Vorliegen bestimmter Schädigungen und Beeinträchtigungen die Bemessungsmaßstäbe des GdB bzw. GdS in Teil A -Allgemeine Grundsätze -generell gelten sollen, ohne individuelle Kontextfaktoren und Lebenssituationen bei der Bewertung mit einzubeziehen. Es gibt keine abstrakt generellen Instrumente, um eine Teilhabeeinschränkung allgemein gültig zu bemessen. Darüber hinaus sind standardisierte Umweltfaktoren bei der Bewertung der Teilhabebeeinträchtigung mit einzubeziehen.

Hier wird deutlich, dass es eines Konsenses bedarf, welche Beeinträchtigung anerkannt und wie sie bei der Bemessung des GdB/GdS gewichtet werden soll. Daher ist es wichtig, dass multidisziplinäre Expert*innen zu Rate gezogen werden. Es wird ausdrücklich begrüßt, dass nicht nur Ärztinnen und Ärzte, sondern auch Behindertenverbände und ihre Vertreter*innen bei den Beratungen über die Anpassungen der ÄndV einbezogen werden.

Hilfsmittel / Heilmittel nicht Teil dieser ÄndV

Die hier zu bewertende ÄndV beschreibt Änderungen der versorgungsmedizinischen Grundsätze. Alle Aspekte, die die tatsächliche Festsetzung des GdB betreffen, oder auch, welche Befunde etwa für die Festsetzung des GdB eingeholt werden müssen, sind Gegenstand des Teils B der VersMedV. Dieser Teil B wird Gegenstand künftiger Beratungen sein. Auch der etwaige Einbezug von Hilfsmitteln bei der Bewertung der Teilhabebeeinträchtigung als Maßstab für den GdB ist nicht Gegenstand dieser ÄndV. 

SoVD-Bewertung: Der SoVD begrüßt es ausdrücklich, dass in der hier zu bewertenden Verordnung der etwaige Nutzen von Hilfsmitteln bzw. etwaige Behandlungserfolge keine Berücksichtigung finden. Für den SoVD steht fest, dass der Einsatz von Hilfsmitteln oder der Einbezug eines etwaigen Behandlungserfolges bei der Bemessung eines GdB nicht dazu führen darf, dass es bei den Betroffenen zu einer Absenkung des GdB kommt. Dies deshalb, weil das Erfordernis einer Behandlung oder eines Hilfsmittels ja gerade die Folge der Teilhabebeeinträchtigung ist. Die Behinderung, bzw. Beeinträchtigung ist kausal für die Inanspruchnahme von Heil- und Hilfsmitteln und Therapien. Bei der Beurteilung eines GdB ist also abzustellen auf die in der Person selbst liegenden Einschränkungen. 

Der SoVD warnt davor, bei der bald erfolgenden Überarbeitung des Teiles B der Verordnung, welcher im Wesentlichen die GdB-Tabelle mit den Einzel-GdBs enthält, den Aspekt des Nutzens von Hilfsmitteln bzw. des „bestmöglichen Behandlungs­ergebnisses“ bei der Bemessung des GdB wieder mit einfließen zu lassen. 

Bemessung des GdB/GdS (Teil A, Nr. 1)

Die Regelungen zur Bemessung des GdB bzw. GdS sind im Wesentlichen gleichgeblieben und orientieren sich an der bisherigen Rechtslage. Daher ist davon auszugehen, dass es zu keinen Verschlechterungen bzgl. des berechtigten Personenkreises oder bei den generellen Festsetzungen des GdB kommen wird. Dies wird vom SoVD begrüßt. 

Bildung des Gesamt-GdB (Teil A, Nr. 3)

Die Regelungen zur Bildung eines Gesamt-GdB entsprechen im Wesentlichen dem geltenden Recht. Bei der Bildung eines Gesamt-GdB – also bei Vorliegen mehrerer Gesundheitsstörungen – ist bei der Einstufung von der Teilhabebeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt. Eine Addition von Einzel-GdBs ist nicht zulässig. Bei einer Überschneidung einzelner Funktionsbeeinträchtigungen ist zu bewerten, inwieweit dies eine Teilhabebeeinträchtigung erhöht. 

SoVD-Bewertung: Die Regelungen zur Bildung des Gesamt-GdB sind im Grunde nicht zu beanstanden. Die Herausforderung für die Gutachterinnen und Gutachter besteht weiterhin darin, bei der Bildung des Gesamt-GdB allgemeine Grundsätze anzuwenden, dabei jedoch auch die Umstände des konkreten Einzelfalls zu berück­sichtigen. Wichtig ist, die Teilhabebeeinträchtigung des Betroffenen in der Gesamtschau im Sinne des modernen Behinderungsbegriffs angemessen zu bewerten.

Im Sinne einer besseren Transparenz, zur Erhöhung der Verfahrensgerechtigkeit und auch, um den Gutachterinnen und Gutachtern eine Richtschnur an die Hand zu geben, wird vom SoVD angeregt, die Erläuterungen zu den Grundsätzen der GdB-Bestimmung mit zu veröffentlichen. Diese liegen zum Teil in der Gesetzesbegründung vor. 

Berlin, 5. Mai 2025

DER VORSTAND
Abteilung Sozialpolitik